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Cervo, Beyond Culture

The Cabin Essence - Artists in Residence - Erfahrungsbericht von Nicolas Steiner & Laura Killian

03.03.2022

Vorhang auf. Wärmende Sonnenstrahlen erreichen meine Hände. Die Reflektion von purem Weiss, von den in der Nacht wie Puderzucker auf die Terrasse gezauberten Schneeflocken, lassen meine sowieso schon flackernden Augenlider zusammenpressen. Nach einem aufwühlenden und wegweisenden Arbeitstag, abgerundet mit einem italienischen Abendessen im urgemütlichen Madre Nostra – die kulinarische Tradition der südlichen Nachbarn in aller Köstlichkeit lebend – und einem ausklingenden Schlummertrunk im Ferdinand – ist es die vielleicht etwas zu kurz geratene Nacht, die die Spuren im Gesicht kaum verbergen und beim morgendlichen, herzhaften Begrüssen des CERVO-Frühstückpersonals ein Lächeln ins Gesicht zaubern: „Long night?“ – „Nah, long day… :)“. Afrikanische Beats und ein Song mit einem charmanten „Kiss, kiss“ im Refrain beleben die gute Laune und den Drang, auch heute wieder was zu entdecken, erfinden oder voranzutreiben.

Wie aus einem irrealen Winterwunderland präsentiert sich der morgendliche Blick durch die grosse Fensterfront und steht im Kontrast zum genauso anregenden Interieur des Bazaar – dem von lebhaften Märkten im Orient und Nordafrikas inspirierten Herzen des Mountain Resorts. Im Dreh- und Angelpunkt des CERVOS scheint jeder Gegenstand, jedes Schriftzeichen und die MitarbeiterInnen mit Herkunft aus aller Welt ihre eigene Geschichte mit hergebracht zu haben. Und da wir Geschichtenerzähler sind, saugen wir uns voll mit diesen.

Im alltäglichen Leben eines freischaffenden, selbstständigen Filmemachers und einer Conceptual-Art-Fotografin, ist es eine grossartige Vorstellung, sich für eine gewisse Zeit dem bekannten Ablauf, dem Eingebunden sein wie auch den Grundbedürfnissen und existenziellen Sorgen zu entziehen. Sich vom Alltag losgelöst voll und ganz auf die künstlerische Arbeit einzulassen – die Freiheit, zu Erschaffen!

Die CABIN ESSENCE als Form einer Künstlerresidenz und eines Rückzugsortes hat sich als einzigarte Möglichkeit herauskristallisiert, die genau diesen Freiraum anzubieten weiss. Und zwar an einem inspirierenden, von Menschenhand erschaffenen und doch so nah an der Natur und bodenständigen Wurzeln ausgerichteten Ort. Körper, Geist und alle Sinne werden angeregt und gefordert.

Nicolas Steiner working on his project

Das Verrückte an der CABIN ESSENCE Erfahrung war, dass wir zu Beginn etwas erschlagen waren von dem opulenten Angebot. Wir waren kribbelig. Das fiel auch dem Founder des CERVO Mountain Resorts und Initiant der Künstlerresidenz auf. Daniel F. Lauber hatte uns bei einem ersten Treffen vor Ort gesagt, dass wir uns loslösen sollen von einem Arbeitsraster, eintauchen und gestalten, wie wir möchten. Wir sollen die Cabin Essence mitgestalten, erleben und leben, nicht das Cabin Fever.

Diese schon fast warnenden Worte nahmen wir uns sehr zu Herzen. Erstmal hiess es: Loslassen, eintauchen, auf sich wirken lassen und vor allem Zulassen! Wir waren an einem Ort, an dem wir uns wohl fühlten. Wir hatten schlagartig Zeit und befanden uns wie in einer Schutzhülle. Angestautes und Emotionen traten hervor. Und da unsere Auseinandersetzung mit Kunst, egal in welcher Form, immer mit Emotionen, Eindrücken und Erfahrungen zu tun hat, war diese Konfrontation vermutlich viel wichtiger als das eigentliche Produzieren. Und das war die Magie der CABIN ESSENCE.

Die zwei letzten Jahre stellten uns vor mehrere grosse Prüfungen. Schicksalsschläge wurden aus zeitlichen Gründen – wir waren mitten in der Produktion einer Netflix-Serie – nicht verarbeitet. Nach dem Gespräch mit Daniel wurde uns klar, dass die CABIN ESSENCE nicht nur zum Kreieren da war. Es sollte auch eine Zeit des Aufarbeitens und einer Selbstreflexion werden. Nur dieses Eingeständnis würde auch die Inspiration wieder fördern. Und mit der Inspiration strömten auch die Ideen und mit den Ideen kommt eine Heilung und Selbstfindung und dadurch auch wieder unbändige Energie zum Erschaffen.

Zurück zu dem einleitend erwähnten, aufwühlenden Arbeitstag. An besagtem Vormittag nehme ich mir ein im Zimmer hängendes, altes Schweizer Militär Fernglas zur Hand und betrachte das mir eigentlich längst bekannte und doch noch nie so detailliert erkundete Wahrzeichen Zermatts: Der über dem Dorf schützende, mit seinen scharfen Felsgraten an seinen Hängen, je nach Situation und Wetterlage vielleicht für manchen auch einschüchternden Karling – dieser unverkennbare Berggipfel!

Nicolas Steiner blickt zum Matterhorn

Auch an diesem Tag strahlt das Matterhorn majestätisch in seiner vollen Grösse, Kraft und Überzeugung, die ich liebend gerne in meine Figuren und Geschichten, vielleicht manchmal auch ins Selbstvertrauen eines Künstlers übertragen würde. Die Matterhorn-Wolke (eine Bannerwolke, die wie eine imposante Fahne als steter Begleiter auf der windabgewandten Seite weht) vervollständigt das von bereits vielen Kunstschaffenden verwendete Gemälde. Die Entstehung dieses weltweit bekannten Brockens spornt meine Fantasie an und schliesst in einem vielleicht nicht ganz sachlich zu nehmenden Sinne einen Kreis zum Herzstück des CERVO – dem Bazaar: Als plattentektonische Folge der Bewegungen zwischen den Kontinentalplatten vor Millionen Jahren, scheint der zu Füssen liegende Hausberg Zermatts – das Wahrzeichen aus jedem Zimmer des Mountain Ressorts beobachtbar – als Erosionsrelikt der Afrikanisch/adriatiaschen Platte und damit ein direktes Stück Afrika in Zermatt, vollkommen zu sein.

Mit dem Mut und der Kraft dieses unwiderstehlichen Anblickes tätige ich einen länger vor mich hingeschobenen Investoren-Anruf für ein neues Projekt. Mit dem richtigen „state of mind“ und der Überzeugung verlief das Gespräch erfolgversprechend. Danach machen wir uns auf einen fast täglichen Spaziergang auf dem sogenannten AHV-Weg („retirement walk“), der nahezu beim CERVO beginnt.

Wehe dem, der sich von diesem Namen irritieren lässt. Auf über 1650 Metern über dem Meer und nachdem unsere Reise vor ein paar Tagen auf Meereshöhe begann (Los Angeles, Kalifornien) kann auch dieser wunderschöne Rundgang mit Ausgangs- und Endpunkt CERVO einen spüren lassen, dass die Luft dünner wird. Die Blicke übers Dorf, die tiefe Stille und die immer näher kommenden Bäume, entschädigen die schweren Schritte im tieferen Schnee.

Nicolas Steiner sitting on a bench

Auf einer Bank in der Sonne bleiben wir sitzen. Eine Horde hungriger Alpendohlen dreht über dem Dorf ihre Kreise. Sie trotzen gekonnt dem aufkommenden Wind. Sie sperbern und spekulieren wie gierige Aas-Geier auf die durch die Strasse flanierenden Gäste aus aller Welt, die kulinarische Essensresten anzubieten hätten. Dort, auf dieser Bank, unter genauer Beobachtung der Dohlen fälle ich einen wichtigen beruflichen Entscheid, nämlich die Besetzung der zwei Hauptrollen für meinen nächsten Kinospielfilm. Laura indes betrachtet kleine kristallene Schneepartikel auf einem Tannzapfen wie einen Goldklumpen…

Mein Hauptfokus während der CERVO Cabin Essence lag vor allem auf meinem neuen internationalen Kinospielfilm „DER FLIEGENDE BERG – The Flying Mountain“, eine Koproduktion zwischen mehreren Ländern bei dem ich das Buch schreibe und Regie führe. Gedreht wird verteilt über ein Jahr in fünf Ländern. Ich habe in meiner Zeit in Zermatt neben wichtigen Gesprächen und Entscheidungen das Drehbuch weiterentwickelt und überarbeitet. Ich habe überlegt, wie die Auswertung aus dem Casting für die Hauptrollen kurz vor Weihnachten 2021 in Irland das Buch verändern könnte. Hinzu kam, dass ich durch meinen Aufenthalt in Zermatt Kontakt aufnehmen konnte mit Einheimischen, da wir einen Teil in der Schweizer Bergwelt drehen wollen – vor allem für Gletscherszenen, die wir im Himalaya- Gebirge nicht einfangen können.

Nicolas and Laura on the retirement walk

Laura bewarb sich für die Künstlerresidenz mit dem Ziel und Wunsch, ein Fotoprojekt zu kreieren, das von der Erfahrung des Aufenthalts selbst inspiriert ist. Nachdem sie in der ersten Woche erkannte, welch wunderbares Geschenk die CABIN ESSENCE darstellte, um zu sich selbst zurückzukehren und Körper und Geist zu vereinen, entwickelte sie erste Skizzen und ein Konzept für eine neue Foto-Serie.

In der Nähe von Austin, der Hauptstadt Texas aufgewachsen und ausgebildet, schlussendlich über zwölf Jahre in Los Angeles gelebt und gearbeitet, sah Laura selten Schnee, weswegen es für sie wahnsinnig beeindruckend und bereichernd war, im Winter in Zermatt zu sein. Sie war fasziniert von der Idee, dass Schnee etwas derart filigran Schönes und dennoch ein äußerst raues Element der Natur ist. Mit dieser Gegenüberstellung wollte sie spielen.

Als konzeptionelle Fotografin für Selbstporträts will sie Schnee als Aggregatszustand und Masse verwenden, um Bilder zu erschaffen, die eine Wiederverbindung (Reconnection) mit sich selbst darstellen: Schnee auf nackter Haut, der den schmerzhaften, aber schlussendlich notwendigen und schönen Prozess symbolisiert, sich der Realität, Ihren Erfahrungen und sich selbst zu stellen, um zu heilen und voranzukommen. Es gibt eine Verwundbarkeit in der Blösse, aber nur indem du nackt (auch im übertragenen Sinne), echt und offen bist, kannst du dich wirklich verwandeln.

Neben der Konzeptentwicklung für diese neue Serie, diente ihr die in der Künstlerresidenz gewonnene Zeit auch um digitale Organisation und Ordnung zu schaffen. Dazu gehören auch die auf den ersten Blick unkreativen Aufgaben wie Fotos kategorisieren, aussortieren, bearbeiten und die neuen, anstehenden Projekte planen.

Photo camera during the night

Das CERVO als international anerkanntes und zurecht prämiertes Mountain Resort, strahlte für uns eine wahnsinnige Kraft aus und zog magnetisch an. Es ist ein pulsierender Ort, dessen Teil man gerne ist. Im Rahmen der CABIN ESSENCE verkörperte und vermittelte uns das CERVO und das im Resort arbeitende Team eine Haltung, einen Lebensstil, eine Entdecker- und Experimentierfreude – vermischt mit einer bodenständigen & passionierten Arbeitsweise – geschliffen mit einem Flair und einer Verliebtheit fürs Detail – die sofort auffällt und einen Drang zum Selber Kreieren auslöst und mit der wir auch nach drei Wochen wieder losgezogen sind.

Es ist in der Tat ein sich wandelndes Werk an einem Wohlfühl-Ort, an dem wir uns der eigenen Kreativität und Arbeit als Filmschaffender wie auch als Photographin den nötigen Freilauf geben konnten. Unsere eigenen Werte und der Anspruch an unsere Arbeiten spiegelten sich im CERVO wider. Es war und ist eine Verschmelzung zweier Welten, die wir so noch nicht kannten. Wir schätzen uns glücklich, unsere Projekte an einem Ort, an dem wir uns zuhause fühlten, weiterzubringen.

Wir sind fest davon überzeugt, dass uns dieser Aufenthalt noch lange tragen wird und uns nachhaltig beeinflusst hat. Persönlich und in unserer Arbeit. Wir möchten uns beim Initiant Daniel F. Lauber und dem gesamten CERVO-Team für das Vertrauen und die Möglichkeit die begeisterten Erstteilnehmer der CABIN ESSENCE sein zu dürfen, bedanken. Es ist schön, durch diese Erfahrung Teil der CERVO-Familie geworden zu sein. Wir haben viele neue Freunde gewonnen, Inspiration und Energie gesammelt, sind uns als Künstler nähergekommen und haben unsere Projekte dem Ziel einen entscheidenden Schritt näher gebracht.

Kulturschaffende, Kreative, Künstler und das CERVO – eine Lovestory, der wir noch ganz viel Liebe auf lange Zeit wünschen und zutrauen!

Nicolas Steiner & Laura Killian

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